
Wenn Menschen schwer erkranken, bricht für viele Angehörige eine Welt zusammen. Diagnose, Krankenhausaufenthalt, Pflegebedürftigkeit – all das löst nicht nur beim Patienten selbst, sondern auch im Umfeld starke emotionale Reaktionen aus. Angehörige erleben Ohnmacht, Angst, Schuldgefühle, Kontrollverlust oder Wut. In solchen Ausnahmesituationen wird aus Pflege schnell viel mehr als medizinische Versorgung: Sie wird zu einem menschlichen Anker – für Patient:innen und deren Familien.
Gerade in Krisenzeiten kommt der Angehörigenarbeit eine besondere Bedeutung zu. Pflegekräfte sind oft die ersten, die Emotionen auffangen, Fragen beantworten und Sicherheit vermitteln sollen – neben der Versorgung am Bett.
Angehörige: Beteiligte, Belastete – und manchmal Überforderte
Angehörige tragen oft eine Doppelbelastung: Einerseits sorgen sie sich um den Gesundheitszustand eines geliebten Menschen, andererseits sind sie mit organisatorischen, rechtlichen und oft auch finanziellen Fragen konfrontiert. Sie stehen unter Druck, fühlen sich hilflos und suchen Orientierung – und richten ihren emotionalen Fokus oft auf das nächstverfügbare Gegenüber: die Pflegekraft.
Dabei zeigen sich verschiedene Verhaltensweisen:
👉 Emotionale Überforderung: Tränen, Rückzug, Verzweiflung
👉 Aggression oder Feindseligkeit: Kritik am Pflegepersonal, Misstrauen
👉 Übertriebene Kontrollbedürfnisse: Ständige Rückfragen, Einmischung
👉 Realitätsferne Erwartungen: Wunsch nach Heilung oder Wundern
👉 Kulturelle oder sprachliche Missverständnisse
Diese Situationen können für Pflegekräfte sehr belastend sein – vor allem dann, wenn der eigene Handlungsspielraum begrenzt ist und es an Zeit oder Unterstützung fehlt.
Empathie: Nicht nachgeben – sondern verstehen
Empathie in der Angehörigenarbeit heißt nicht, alles mitzutragen oder sich aufzuopfern. Es bedeutet vielmehr, emotional präsent zu sein, die Beweggründe hinter dem Verhalten zu erkennen – und gleichzeitig professionelle Grenzen zu wahren. Empathie kann deeskalieren, Verständnis fördern und Beziehung ermöglichen, wo vorher Konfrontation stand.
Empathisch reagieren kann bedeuten:
👉„Ich sehe, dass Sie sich große Sorgen machen. Was belastet Sie im Moment am meisten?“
👉 „Das ist eine schwierige Situation – für Sie, aber auch für Ihr Familienmitglied. Wollen wir gemeinsam überlegen, wie wir unterstützen können?“
👉 „Ich merke, dass Sie gerade sehr aufgebracht sind. Ich möchte Ihnen zuhören – aber ich bitte Sie, ruhig mit mir zu sprechen.“
Praktische Tipps für die empathische Angehörigenarbeit
👉 Aktives Zuhören statt schnelle Lösungen
Oft wollen Angehörige gar nicht sofort eine Lösung – sie wollen in ihrer Sorge gesehen und ernst genommen werden. Zuhören mit offener Haltung, Blickkontakt und bestätigenden Rückmeldungen („Das verstehe ich gut…“) ist oft wirkungsvoller als reine Sachinformationen.
👉 Emotionen benennen – um Eskalation zu verhindern
Statt auf Lautstärke oder Anklagen mit Verteidigung zu reagieren, hilft es oft, Emotionen zu spiegeln:
„Sie sind sehr aufgewühlt – darf ich fragen, was Sie gerade besonders beschäftigt?“
👉 Grenzen setzen mit Klarheit und Respekt
Empathie bedeutet nicht, Grenzüberschreitungen hinzunehmen. Sätze wie:
„Ich kann Sie gut verstehen – und dennoch muss ich Sie bitten, respektvoll mit mir zu sprechen“
zeigen Stärke und Menschlichkeit zugleich.
👉 Informationen strukturiert und verständlich vermitteln
Gerade in stressigen Situationen verstehen Menschen weniger. Verwende klare, einfache Sprache und überprüfe, ob dein Gegenüber wirklich verstanden hat. Wiederholung ist hier kein Zeichen von Schwäche, sondern ein Zeichen von Fürsorge.
👉 Die eigene Belastung ernst nehmen
Angehörigengespräche können emotional „nachbrennen“. Suche bewusst das Gespräch mit Kolleg:innen, Supervision oder Teamrunden, um Situationen zu reflektieren und emotional loszulassen.
Empathie stärkt Beziehungen – auch über Krisen hinaus
Pflege ist Beziehung. Und Angehörigenarbeit ist ein Teil dieser Beziehungsarbeit – oft in besonders sensiblen Momenten. Wenn es gelingt, auch schwierige Gespräche empathisch zu gestalten, entsteht Vertrauen. Angehörige fühlen sich nicht nur informiert – sondern begleitet.
Diese Form der Begleitung wirkt oft nach: Sie beeinflusst, wie Familien auf Therapieentscheidungen blicken, wie sie mit Trauer umgehen, wie sie sich später an die Pflegezeit erinnern.
„Manchmal ist nicht die Information entscheidend – sondern das Gefühl, ernst genommen und gesehen zu werden.“