Die unsichtbaren Heldinnen und Helden der Pflege – Pflegende Angehörige im Fokus

Veröffentlicht am 26. September 2025 um 20:00

Pflege – viele denken dabei zuerst an Pflegeheime, ambulante Dienste oder Krankenhäuser. Doch die eigentliche „Pflegeeinrichtung Nr. 1“ ist ein Ort, den wir alle kennen: das eigene Zuhause. Und die Menschen, die dort den Löwenanteil der Pflegearbeit leisten, tragen oft weder Uniform noch Titel – es sind Angehörige. Ehepartner, Töchter, Söhne, Geschwister, manchmal auch enge Freunde oder Nachbarn. Sie sind die unsichtbaren Heldinnen und Helden unseres Pflegesystems – und ohne sie würde es schlicht zusammenbrechen.

Die Dimension: Pflege zu Hause ist die Regel

Die Dimension wird erst richtig klar, wenn man sich die Zahlen anschaut:

ℹ️ In Deutschland leben derzeit rund 5 Millionen Menschen mit Pflegebedarf (Destatis, 2023).

ℹ️ Davon werden etwa 4,1 Millionen zu Hause versorgt.

ℹ️ In über 50 % der Fälle übernehmen Angehörige den größten Teil dieser Pflege – oft ganz ohne professionelle Unterstützung.

Das heißt: Nicht die Klinik oder das Pflegeheim ist die Hauptversorgungsform – sondern die private Wohnung, das Wohnzimmer, das Schlafzimmer. Hinter verschlossenen Türen, oft unsichtbar für die Gesellschaft.

Unsichtbare Arbeit, sichtbare Folgen

Was pflegende Angehörige leisten, geht weit über das klassische „Helfen im Alltag“ hinaus. Es ist körperliche, organisatorische und emotionale Arbeit zugleich:

👉 Körperlich: Heben, lagern, waschen, füttern, mobilisieren.

👉 Organisatorisch: Arzttermine, Medikamente, Dokumentationen, Pflegegeld-Anträge, Hilfsmittel organisieren.

👉 Emotional: Zuhören, Trost spenden, Ängste aushalten, Hoffnung geben – und gleichzeitig eigene Sorgen zurückstellen.

Eine Untersuchung des Zentrums für Qualität in der Pflege (ZQP, 2022) zeigt, dass über 70 % der pflegenden Angehörigen unter regelmäßiger Überlastung leiden. Viele entwickeln Rückenschmerzen, chronische Erschöpfung, Schlafprobleme, manche rutschen in eine Depression. Besonders gefährlich: Angehörige stellen die eigenen Bedürfnisse hinten an – und gefährden so ihre Gesundheit langfristig.

Vom Angehörigen zur Pflegeperson – ein Rollenwechsel mit Folgen

Ein besonders sensibles Thema ist der Rollenwechsel. Plötzlich werden erwachsene Kinder zu Pfleger*innen ihrer Eltern. Oder Ehepartner müssen den geliebten Menschen nicht nur als Partner sehen, sondern auch als Pflegefall. Das ist emotional hochkomplex: Liebe und Fürsorge mischen sich mit Überforderung, Trauer über den Verlust des alten Lebens und Schuldgefühlen, wenn man an die eigenen Grenzen stößt.

Eine 2021 veröffentlichte Studie der Uni Witten/Herdecke zeigte, dass Angehörige in dieser Situation oft zwischen Nähe und Distanz schwanken: Sie wollen für die geliebte Person da sein, brauchen aber gleichzeitig Räume, um selbst nicht „unterzugehen“.

Anerkennung? Fehlanzeige

Viele Angehörige berichten, dass ihre Arbeit kaum gesehen wird. Gesellschaftlich gilt sie oft als „Selbstverständlichkeit“. Doch Fakt ist: Ohne pflegende Angehörige würde unser Pflegesystem kollabieren. Der Barmer Pflegereport 2023 zeigt, dass ihre Arbeit einem volkswirtschaftlichen Wert von mehreren Milliarden Euro entspricht. Trotzdem erhalten sie selten die Wertschätzung, die sie verdienen – sei es finanziell, strukturell oder menschlich.

Pflege ist Teamarbeit – oder sollte es sein

Professionelle Pflegekräfte können Angehörige enorm entlasten – aber nur, wenn sie sie als Partner*innen begreifen. Dazu gehört:

👉 Angehörige informieren und schulen, z. B. durch Pflegekurse.

👉 Sie ernst nehmen in ihren Beobachtungen und Sorgen.

👉 Sie wertschätzen – auch für die kleinen Dinge. Ein Satz wie „Sie machen das toll“ kann Wunder wirken.

👉 Netzwerke schaffen, in denen Angehörige nicht allein sind.

Was sich ändern muss

Damit pflegende Angehörige nicht an ihrer Aufgabe zerbrechen, braucht es:

👉 Finanzielle Entlastung: Pflege darf nicht arm machen.

👉 Niedrigschwellige Angebote: Kurzeitpflege, Tagespflege, Entlastungsleistungen müssen einfacher zugänglich werden.

👉 Psychologische Unterstützung: Denn Pflege bedeutet auch Trauerarbeit, Stress und oft Einsamkeit.

👉 Gesellschaftliche Anerkennung: Nicht nur in Fachkreisen, sondern auch im Alltag – durch Bewusstsein, Medien und Politik.

Fazit: Unsichtbare Held*innen sichtbar machen

Pflegende Angehörige sind nicht die Randfigur im Pflegesystem, sie sind das Fundament. Sie leisten Großartiges – oft still, oft unsichtbar. Doch Held*innen müssen nicht still sein. Sie brauchen Anerkennung, Unterstützung und Sichtbarkeit.

Wenn wir über Pflege sprechen, sollten wir also immer auch über sie sprechen – und sie endlich ins Licht holen.

Pflege ist wichtig - und du bist es auch!