Ich arbeite nicht am Menschen – ich arbeite mit Menschen > Warum Worte in der Pflege mehr verraten, als wir denken

Veröffentlicht am 27. Juni 2025 um 20:00

Ich arbeite am Menschen.“

Das liest man oft – in Bewerbungen, auf Karriereportalen, in Imagebroschüren oder sogar in offiziellen Leitbildern von Einrichtungen. Und manchmal sagen wir es selbst, fast beiläufig, ohne weiter darüber nachzudenken.

Aber, ich arbeite nicht am Menschen.

Ich bin kein Handwerker. Kein Techniker, der an einem Objekt etwas repariert oder optimiert. Menschen sind keine Projekte, keine Werkstücke, keine Maschinen, die man instand setzt oder „bearbeitet“.

"Ich arbeite mit Menschen."

Und genau darin liegt der entscheidende Unterschied. Denn wer mit Menschen arbeitet, begegnet ihnen auf Augenhöhe. Nicht als Objekt der Arbeit, sondern als Subjekt der Beziehung.

Es bedeutet, sich einzulassen – auf Geschichten, auf Emotionen, auf individuelle Bedürfnisse. Es heißt, zuzuhören, ernst zu nehmen, gemeinsam Wege zu finden. Es geht um Vertrauen, um Resonanz, um Mitgefühl – nicht um reine Funktionalität.

Mit Menschen zu arbeiten bedeutet, Verantwortung zu übernehmen, aber auch Raum zu lassen. Es heißt, zu begleiten, nicht zu bestimmen. Impulse zu geben, nicht zu manipulieren. Stabilität zu bieten, ohne Abhängigkeit zu schaffen.

Arbeiten mit Menschen ist Beziehungsarbeit. Sie ist nicht messbar in Produktivität oder Output. Aber sie wirkt tief – manchmal leise, manchmal laut, und oft weit über den Moment hinaus.

Deshalb sage ich bewusst:

Ich arbeite mit Menschen. Und ich bin stolz darauf.

Sprache verrät Haltung

Wer „am Menschen“ arbeitet, stellt sich über ihn.

Wer „mit Menschen“ arbeitet, stellt sich zu ihm.

Als Pflegekraft bin ich nicht bloß ausführendes Organ medizinischer Vorgaben. Ich bin Gesprächspartnerin. Begleiter. Frühwarnsystem. Übersetzerin.

Und manchmal einfach: Mensch.

Wenn ich Frau K. morgens wasche, ist das nicht einfach eine „Pflegehandlung“. Das ist Kommunikation – auch wenn sie nicht sprechen kann.

Wenn ich Herrn B. beim Essen unterstütze, ist das nicht nur „Nahrungsaufnahme“. Das ist Würde. Geduld. Beziehung.

Entmenschlichung beginnt im Kleinen

Wir sprechen oft über den Personalmangel, über schlechte Bezahlung, über Belastung.

Zu Recht.

Aber wie wir über Pflege reden – und über die Menschen, die gepflegt werden –, sagt genauso viel aus.

 

Beispiele?

👉 „Bett 3 braucht ein neues Pflaster“

👉 „Die PEG muss noch gemacht werden“

👉 „Der Alzheimer liegt noch im Aufenthaltsraum“

 

Wenn Menschen zu Diagnosen oder Zimmernummern werden,verändert das nicht nur unsere Sprache. Es verändert unsere Haltung.

Und irgendwann – merken wir’s selbst nicht mehr.

 

Pflege ist Beziehung, nicht Technik

Ich bin fachlich qualifiziert.

Ich kann pflegen, dokumentieren, delegieren. Aber das Wichtigste, was ich kann, ist:

Mensch sein mit Menschen, die gerade besonders verletzlich sind. Und dafür braucht es mehr als Handgriffe – es braucht Haltung. Eine Sprache, die nicht nur beschreibt, was wir tun, sondern warum wir es tun.

 

Worte schaffen Wirklichkeit

Wenn Politik, Medien oder Arbeitgeber über „Pflegekräfte an der Front“ sprechen,dann klingt das nach Kampf, nach Belastung, nach Aufopferung.

Und ja – vieles davon stimmt. Aber Pflege ist kein Krieg. Es ist auch kein Dienst am Volk. Es ist ein gemeinsames Aushalten, Begleiten, Bewegen.

Und dafür brauchen wir eine neue Sprache. Eine, die nicht distanziert – sondern verbindet. Eine, die anerkennt:

Wir arbeiten nicht an Menschen.

Wir sind mit ihnen unterwegs – oft auf den letzten Metern ihres Weges.

Und das ist alles andere als technisch.

Was wäre, wenn …

… Arbeitgeber nicht sagen würden: „Wir brauchen Personalressourcen“,

sondern: „Wir suchen Menschen, die mit anderen Menschen arbeiten“?

… wir in Dienstübergaben nicht von „Fällen“ sprechen, sondern von Personen?

… wir auch im größten Stress sagen: „Frau X hat Schmerzen“ – und nicht „Die Hüfte jammert wieder“?

Es sind kleine Dinge. Aber Sprache ist kein Beiwerk. Sprache ist Pflegekultur.

Schlusswort:

Ich arbeite mit Menschen.

Mit all ihren Schwächen, Geschichten, Macken, Schmerzen.

Und ich bringe meine eigenen mit. Das ist nicht immer schön. Aber es ist echt. Und es beginnt mit Worten, die das auch widerspiegeln. Denn wie wir sprechen, zeigt, wie wir denken. Und wie wir denken, bestimmt, was wir zulassen – oder eben nicht mehr.

Pflege ist wichtig - und du bist es auch!